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Alljährliche Dreikönigsgeschichte

Frau Melchior: Du willst einem Stern nachreisen? Einem Stern? Müsste der nicht schneller sein als du zu Fuß?
Herr Melchior: Wir haben Kamele.
Frau Melchior: Ach, und die sind schneller als Sterne?
Herr Melchior: Davon verstehst du nichts!
Frau Melchior: Immer, wenn dir keine vernünftige Antwort einfällt, verstehe ich von irgendetwas nichts. So geht das nicht! Sterne wandern in einer Nacht über den ganzen Himmel! Kann das dein Kamel auch?
Herr Melchior: Von Kamelen verstehst du auch nichts.
Frau Melchior: Was? Ich leite hier die Karawanserei – während du nur nachts in die Sterne guckst und tagsüber schläfst. Melchiors Karawanserei steht da dran! Und wer macht die ganze Arbeit? Ich!
Herr Melchior: Sternenkunde ist unerlässlich. Sicher passiert ja was Wichtiges! [verzieht sich]
Frau Kaspar [tritt ein]: Wer ist jetzt schon wieder auf diese blöde Idee gekommen?
Frau Melchior: Ich nicht. Da kannst du sicher sein.
Frau Kaspar: Er will einem Stern nach. Einem götterverdammten Stern!
Frau Melchior: Meiner auch.
Frau Kaspar: Dann kommt sicher gleich …
Frau Balthasar [tritt ein]: Ein wichtiges Kind wird geboren, sagt er. [deutet auf ihren runden Bauch]. Das ist nicht unbemerkt geblieben, sage ich. Und was sagt er? Er würde nicht von unserem Kind sprechen! Nicht von unserem! Kann irgendeines gerade wichtiger sein?
Frau Melchior: Setz dich erst mal
Frau Kaspar: So eine saublöde Idee!
Frau Melchior: Möchte jemand Kekse?
Frau Balthasar: Ja bitte. Und hast du saure Datteln?
Frau Kaspar: Huldigen will er. Weiß noch nicht, wem, wann oder wo, aber huldigen will er auf jeden Fall.
Frau Balthasar: Meiner auch. Ganz wild auf diese Huldigerei. Als könnte er hier nicht auch huldigen. Wir haben genug Götter. Und Sterne.
Frau Melchior: Und Ehefrauen.
Frau Kaspar: Geschenke will er mitnehmen! Als hätten wir was zu verschenken!
Frau Balthasar: Meiner auch. Ließ sich nicht davon abbringen. Du weißt doch gar nicht, für wen. Und was sagt er da? Ein Kindlein! Ich bitte dich! Ein Kindlein! Wir haben schon fünf, und bald kommt das sechste!
Frau Melchior: Meiner hat gesagt, ein König. Also unserer kann es nicht sein. Seit der letzten Steuerprüfung würde der Meinige keinesfalls noch irgendetwas freiwillig dem König schenken.
Frau Kaspar: Meiner hat gesagt, es ginge um den Prophezeiten. Lies nicht so viel Fantasy, habe ich ihm gesagt. In schlechter Fantasy gibt es immer einen Prophezeiten. Von wem prophezeit, habe ich ihn gefragt. Wusste er nicht. Und wofür, habe ich gefragt. Wusste er auch nicht.
Frau Balthasar: Gar nichts wissen die.
Frau Melchior: Nach Westen wollen sie. Dabei wäre der Weg nach Indien gewiss lukrativer. Sonst rühren sie sich nicht fort von ihrem Diwan, und jetzt wollen sie nach Westen. Da sind die Römer, habe ich gesagt. Die willst du doch nicht treffen! Niemand legt sich freiwillig mit den Römern an! Militärisch organisierte Heuschreckenplage.
Frau Kaspar: Meiner will sein Schwert mitnehmen.
Frau Balthasar: Kann er denn damit umgehen?
Frau Kaspar: Als er es von der Wand genommen hat, habe ich es erst mal abgestaubt. Und er hat sich in den Finger geschnitten. Und gejammert.
Frau Melchior: Gold, Weihrauch und Myrrhen wollte meiner mitnehmen! Für ein Kindlein?, habe ich ihn gefragt. Wäre da ein Satz guter Windeln, was zum Anziehen und was zum Essen nicht sinnvoller? Wir haben eingekochten Dattelbrei! Kinder mögen so was! Gold! Ich glaube, es hackt.
Frau Balthasar: Sie wollen es sich aufteilen. Einer bringt Gold, einer Myrrhe, einer Weihrauch.
Frau Melchior: Teurer geht’s wirklich nicht. Er könnte doch Übernachtungsgutscheine für unsere Karawanserei mitnehmen! Da hat der Prophezeite doch auch was davon, wenn er mal groß ist. Vielleicht reist er ja gerne.
Frau Balthasar: Männer! Diese Huldigerei lassen sie sich was kosten! Aber wenn ich mal einen neuen Kaftan will …
Frau Kaspar: Ich hatte einen grässlichen Traum.
Frau Melchior: Jetzt fang du nicht auch noch mit Prophezeiungen an!
Frau Balthasar: Was hast du denn geträumt?
Frau Kaspar: Ich habe geträumt, sie seien verschleppt worden und man hätte sie in einem goldenen Schrein gefangen, weit, weit im Nordwesten.
Frau Melchior: Bei den Barbaren?
Frau Balthasar: Oder bei den Römern?
Frau Kaspar: Weiß nicht. Könnte beides sein.
Frau Melchior: Du glaubst wirklich, unsere Ehemänner kriegen einen goldenen Schrein? Einen wertvollen?
Frau Kaspar: Jedenfalls werde ich ihnen dort ganz bestimmt nicht huldigen!
Frau Melchior: Ich sehe schon, wir werden wieder alles organisieren müssen, wenn sie sich schon nicht davon abbringen lassen. Also: wir packen ein paar vernünftige Kleinkindgeschenke ein. Und ich stelle ein paar der Männer als Schutztruppe zusammen. In unserer Karawanserei gibt es immer ein paar Haude…krummschwerter, die eine Anstellung suchen. Und dann schärfen wir ihnen ein, die Römer zu meiden. Und diesen Herodes. Von dem hört man auch nichts Gutes. Und nichts mitnehmen, das man ihnen allzu gerne stehlen will.
Frau Balthasar: Hört ihr das? Ich glaube, sie reiten gerade los.
Frau Melchior: Ach du je. Ohne Sinn und Verstand.
Frau Kaspar: Ohne Schutztruppe.
Frau Melchior: Ohne Karawane.
Frau Balthasar: Sollte mich wundern, wenn sie auch nur Wäsche zum Wechseln eingepackt hätten.
….
Frau Melchior: Ich mach dann mal Tee.
Frau Melchior + Frau Kaspar + Frau Balthasar: Männer!

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